Startseite > Vorwort 1
Das Album der 70er Jahre
#1

Während Sie das hier lesen, arbeiten die Autorinnen und Autoren des Buchs immer noch an ihrem Text. Eben jetzt, in diesem Moment, da Sie das lesen, sind sie gerade dabei, es weiter zu schreiben, zu ergänzen, zu revidieren, ja, es vielleicht sogar von neuem zu beginnen. Wer weiß.

Das ist nur möglich, weil es sich hier um kein normales Buch handelt und weil die Autorinnen und Autoren auf ganz spezielle Art zueinander gefunden haben und finden: über das Internet.

Das weltumspannende Computernetz bietet nämlich die Möglichkeit, miteinander zu debattieren, sich gemeinsam zu erinnern, gemeinsam Texte zu schreiben - egal, auf welchem Kontinent man gerade sitzt, wie alt man ist, wie spät es ist und ob man gerade Pizza mampft oder Abba in Konzertlautstärke hört. "Foren" bzw. "usegroups" nennt man diese Treffpunkte im Internet, an denen sich jeder äußern kann und jeder jedem antworten; und zwar ohne Beschränkung durch Platz und Zeit, denn das Internet ist ein Medium, das einfach so lange wächst, bis alles, wirklich alles in ihm Platz hat.

So einfach ist das. Und doch so revolutionär. Denn bis zur Erfindung des Web war es Gleichgesinnten, die über die Welt oder auch nur über Deutschland verstreut sind, schwer möglich, sich jederzeit zusammen zu schließen und erschöpfend auszutauschen. Und ganz unmöglich war es bis zur Vernetzung der privaten Computer gemeinsam an jener Art Text zu arbeiten, die Gleichgesinnte am liebsten lesen bzw. schreiben: jenem über ihr jeweils größtes Interesse.

Weil das nur mit Hilfe des Internet klappt, sind im vergangenen Jahrzehnt zigtausende Foren entstanden, in denen sich die Anhänger des Apple-Computers genauso treffen wie die Freunde des Flirtens, des ISDN-Anlagen-Installierens, des Matchboxauto-Sammelns, der Lackbekleidung. So weit, so bekannt.

Neu hingegen ist, dass aus so einem Forum ein klassisches Buch entstehen kann - mit Buchdeckeln, Papierseiten und gedruckten Fotos. Als Quelle diente im vorliegenden Fall ein Diskussions-Forum des ZEIT-Leben, in dem sich Menschen getroffen haben (und treffen), die sich gemeinsam an ihre Kindheit und Jugend in den 70er Jahren erinnern. Aber, was schreibe ich da? "... sich gemeinsam an ihre Kindheit und Jugend in den 70er Jahren erinnern"? Das klingt ja, als hätte da jeder was hingeschrieben und damit sei es gut gewesen. Unsinn, völliger Unsinn!

Es war und ist vielmehr so: Gespannt kann man die Autorinnen und Autoren dabei beobachten, wie sie erst langsam loslegten und kleine Schnipsel ihrer Kindheit offenbarten; dann begannen sie langsam, andere "postings" (Forum-Nachrichten) zu ergänzen, ihnen zu widersprechen; die ersten Fragen tauchten auf ("Wer weiß Näheres über den Kli-kla-Klawitterbus"), die ersten kleinen Konflikte ("Slade war doch das allerletzte!"), die ersten kleinen Liebeserklärungen, die ersten Rekonstruktionen längst verschwundener Werbeslogans ("Nehmt den Husten nicht so schwer/ jetzt kommt der Hustinetten-Bär!"); bis schließlich ein gemeinsamer Text entstand, eine Art Erinnerungslandschaft, in der Fragen und Antworten und Kommentare und Zwischenrufe und Textauszüge und Rechercheergebnisse und Blödeleien verschmolzen zu einem großen Ganzen, wie es das so nur im Internet gibt.

Es ist faszinierend nachzulesen, wie die Teilnehmer des Forums einander zu Dingen animierten, die sie alleine so nicht geschafft hätten, wie sie einander dazu brachten, sich erst zaghaft zu erinnern, dann zunehmend genauer, Fragen zu beantworten, von denen sie nie gedacht hätten, dass sie sie je beantworten könnten. Was gibt es Spannenderes als zu erleben, wie einen jemand anderes dazu bringt, sich selber klüger zu machen. "Mir kommt es so vor, als hätte ich in diesem Forum "meine Einheit" wieder gefunden. Ich würd´ euch gern alle kennen lernen - bei Flaschenbier und Lichtorgel" brachte es die Autorin Klaudia Kisters stellvertretend für alle auf den Punkt.

 
>> Vorwort 2
disclaimer
© Anko Ankowitsch 2000